Rechte von Personen, die durch eine Straftat in Bosnien und Herzegowina geschädigt wurden

Thema: Rechte geschädigter Personen im Strafverfahren in Bosnien und Herzegowina
Wenn Sie sich während eines Aufenthalts in Bosnien und Herzegowina als Geschädigte*r einer Straftat wiederfinden, ist es wichtig, über Ihre Rechte und Pflichten im Rahmen eines Strafverfahrens informiert zu sein.
Zunächst ist zu beachten, dass das Strafrecht in Bosnien und Herzegowina nicht den Begriff „Opfer“ kennt, sondern den Begriff „Geschädigte*r“ (bosnisch: oštećeni) verwendet. Dieser bezieht sich nicht nur auf die unmittelbar betroffene Person, sondern auch auf nahe Angehörige – zum Beispiel gelten im Falle eines Tötungsdelikts auch die Familienmitglieder der verstorbenen Person als Geschädigte.
Die Stellung der geschädigten Person im Strafverfahren ist in Bosnien und Herzegowina nicht einheitlich oder umfassend gesetzlich definiert. Ihre Verfahrensrechte ergeben sich vielmehr aus verschiedenen Bestimmungen der Strafprozessordnung auf staatlicher sowie auf Entitätsebene.
Das wichtigste Recht jeder geschädigten Person – und jedes anderen Bürgers – ist das Recht, eine Straftat zur Anzeige zu bringen, und inn bestimmten Fällen, in denen das Unterlassen einer Anzeige selbst strafbar ist, besteht sogar eine gesetzliche Verpflichtung zur Anzeige. Daraus folgt: Der/die Anzeigenerstatter*in und die geschädigte Person müssen nicht identisch sein.
Eine Anzeige kann schriftlich oder mündlich, bei der Staatsanwaltschaft oder bei der Polizei eingereicht werden. Wird die Anzeige mündlich erstattet, wird darüber ein Protokoll erstellt und die anzeigende Person wird offiziell befragt – dabei erhält sie auch Hinweise zu möglichen rechtlichen Konsequenzen, etwa im Falle einer Falschanzeige. Die geschädigte Person kann sich im Verfahren durch einen Bevollmächtigten (Anwältin), vertreten lassen. Dieser darf im Namen des/der Mandant*in alle zulässigen prozessualen Schritte unternehmen: Anzeige erstatten, Rechtsmittel einlegen, mit Gericht und Staatsanwaltschaft kommunizieren und an der Hauptverhandlung teilnehmen.
Wichtig zu wissen: Falls Sie als Geschädigter im Zuständigkeitsbereich eines Gerichts der Entität Republika Srpska auftreten, haben Sie laut dort geltender Strafprozessordnung das Recht, die Strafverfolgung selbst zu übernehmen, wenn die Staatsanwaltschaft die Anklage zurückzieht. Dieses Recht besteht nicht bei Verfahren vor Gerichten in der Föderation BiH oder vor dem Staatsgericht von BiH. In solchen Fällen empfiehlt sich besonders die Unterstützung durch einen erfahrenen Anwältin.
Nachdem die Anzeige geprüft wurde, entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird oder nicht. Bei einer Ablehnung muss die Staatsanwaltschaft sowohl den/die Anzeigenerstatterin als auch die geschädigte Person informieren – diese haben das Recht, Beschwerde bei der Generalstaatsanwält*in einzulegen.
Die geschädigte Person kann im Strafverfahren einen zivilrechtlichen Anspruch auf Schadenersatz geltend machen. Das zuständige Gericht kann darüber direkt entscheiden oder den/die Geschädigten auf den Zivilweg verweisen. In der Praxis werden Betroffene meist auf eine **Zivilklage gegen den/die Verurteilten** verwiesen. Solche Verfahren können – je nach Gericht – mehrere Jahre dauern.
Außerdem kann die geschädigte Person auf Anordnung des Gerichts ärztlich untersucht oder begutachtet werden, wenn dies für die Beweissicherung erforderlich ist.
In der späteren Phase des Strafverfahrens – also nach Anklageerhebung, Klärung etwaiger Vorfragen und dem Schuldbekenntnis – kann die geschädigte Person als Zeug*in geladen werden, Beweisanträge stellen und ein Schlussplädoyer halten..
Die Pflichten der geschädigten Person während der Hauptverhandlung entsprechen denen aller Zeug*innen: persönliche Anwesenheit, wahrheitsgemäße Aussagen und Respekt gegenüber dem Gericht.
Nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens hat die geschädigte Person ein eingeschränktes Beschwerderecht, das sich nur auf die Kostenentscheidung und die Entscheidung über den zivilrechtlichen Anspruch bezieht.
Die oben genannten Rechte und Pflichten gelten gleichermaßen für Personen ohne Wohnsitz in BiH. Eine Person mit Wohnsitz im Ausland kann ebenfalls als Zeugin geladen werden und Schadenersatz fordern. Sie kann sich durch einen Bevollmächtigte*n vertreten lassen, der/die sie über alle Schritte im Verfahren informiert. Empfehlung: Wenn Sie nicht persönlich am Verfahren teilnehmen können, ist es ratsam, von Anfang an einen Vertrauensanwältin zu bevollmächtigen, der/die die Strafanzeige einreicht und Sie im gesamten Verfahren vertritt.
Andrej Lipa und Tarik Velić, Rechtsanwälte aus Sarajevo